15 Oktober

In einer Tradition des Roten Wien

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Beim Baugruppenprojekt »Bikes and Rails« wurde im September der Spatenstich für den ersten Neubau eines Syndikats-Hauses in Wien gemacht. Für die Volksstimme hat sich Rainer Hackauf mit Manuel Hanke und Elke Rauth von »Bikes and Rails« getroffen, um über Funktionsweise, Herausforderungen und Perspektiven von Baugruppen in Wien zu sprechen.

Volksstimme: Mit »Bikes and Rails« beginnt nun der Bau des ersten Syndikats-Hauses in Wien. Könnt ihr das Konzept dahinter kurz erklären?

Elke Rauth: »HabiTAT« heißt das Syndikat in Österreich und ist eng verbunden mit dem »Mietshäuser Syndikat« in Deutschland. Das Syndikat ist ein solidarisches Netzwerk selbstverwalteter Hausprojekte mit dem Ziel, die Häuser dem Markt zu entziehen und dadurch langfristig Freiräume zu sichern. Die Häuser werden damit wirklich aus dem Immobilienmarkt – und damit aus jeglicher zukünftigen Verwertung am Markt – freigekauft. Der Anspruch dahinter ist, dass Wohnraum keine Ware, sondern ein Grundrecht ist.

Die Grundidee dafür ist in Freiburg in der Hausbesetzerszene der 1980er Jahre entstanden. BesetzerInnen der »Grether« – vergleichbar mit der Arena-Besetzung – haben nach langen Verhandlungen mit der Stadt ein Konzept überlegt, wie sie unabhängig und autonom aus ihrer prekären Situation herauskommen und den Raum langfristig absichern können. In Deutschland ist das Syndikat mittlerweile richtig groß, es besteht aus über 130 Hausprojekten und zahlreiche weitere sind in Planung. In Österreich ist das »HabiTAT« vom Hausprojekt »Willy-Fred« in Linz gegründet worden, dem ersten Syndikats-Haus in Österreich. Die haben die deutsche Rechtskonstruktion auf Österreich angepasst und so hier den Weg für die praktische Umsetzung der Idee frei gemacht.

Volksstimme: Wo steht ihr gerade mit eurem Projekt?

Manuel Hanke: Wir haben Ende August den Kaufvertrag unterschrieben und Anfang September ist mit den Bauarbeiten im Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof begonnen worden. Wir sind jetzt gerade dabei, die notwendige Finanzierung aufzustellen. Bis Ende September müssen wir auf 840.000 Euro kommen, sind allerdings auf gutem Weg dahin. Das heißt, wir machen gerade viel Öffentlichkeitsarbeit und stellen unser Konzept oft vor, womit auch eine gewisse Politisierung einhergeht. Das ist auch das Schöne am HabiTAT, da wir uns im Verbund mit anderen Projekten befinden, wir also nicht nur unser eigenes Projekt bewerben, sondern das ganze Konzept.

Elke Rauth: Wie jedes andere Bauprojekt brauchen wir für die Finanzierung des Hauses rund ein Drittel Eigenkapital. In Genossenschaften wird das etwa durch den Genossenschaftsbeitrag der BewohnerInnen aufgebracht. Im Syndikatsmodell wird hingegen versucht, genau dieses Drittel durch UnterstützerInnen aufzubringen, die dem Projekt Geld für einige Zeit leihen, statt es auf der Bank liegen zu lassen. Wenn UnterstützerInnen das Geld wieder brauchen, können sie ihren Direktkredit dabei jeder Zeit auch wieder kündigen und bekommen ihr Geld inklusive Verzinsung zurück. Es gibt dabei durchaus unterschiedliche Motivationen, warum Leute Projekten wie unserem Geld leihen. Tatsache ist in jedem Fall, dass das in Deutschland seit 30 Jahren funktioniert. »Lieber 1000 FreundInnen im Rücken, als eine Bank im Nacken.«, lautet daher einer der Syndikat-Slogans. Wenngleich man auf die Bank dann doch nie ganz verzichten kann.

Manuel Hanke: Diese Art der gemeinschaftlichen statt individuellen Eigenmittelfinanzierung unterscheidet uns auch von anderen Baugruppenprojekten in Wien. Damit ist die finanzielle Hürde fürs Mitmachen bei uns wesentlich geringer.

Volksstimme: Mit welchem Problem kämpfen Baugruppen gerade? Was müsste sich an gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern? Was sind Hindernisse?

Manuel Hanke: Wir haben uns für einen Neubau entschieden, da es in Wien extrem schwierig ist, ein leer stehendes Zinshaus zu kaufen. Es ist jedoch auch extrem schwierig, an ein Grundstück zu kommen, wenn man nicht aus dem Immobilieninvestment kommt. Das Grundstück, das wir bekommen haben, wurde im Rahmen eines Wettbewerbes von ÖBB und Stadt Wien ausgeschrieben und für Baugruppen zur Verfügung gestellt. Ähnlich funktioniert das auch in anderen Stadtentwicklungsgebieten.

Es gibt drei Möglichkeiten, ein gefördertes Haus zu errichten: Entweder man baut ein gefördertes Wohnheim, ein geförderte Mietshaus oder ein gefördertes Eigentumshaus.

Je nach dem was für eine Förderung in Anspruch genommen wird, gibt es bestimmte Auflagen bezüglich des Baus, z.B. was die Gestaltung der Wohnungsgrundrisse und -größen betrifft. Die meisten Baugruppenprojekte entscheiden sich für die Kategorie Wohnheim, die für ein Wohnprojekt die meisten Mitbestimmungsmöglichkeiten bietet, aber auch einige Einschränkungen.

Elke Rauth: Das Problem hier ist, dass BewohnerInnen von Heimen bei Bedarf keinen Anspruch auf Wohnbeihilfe haben. Das ist natürlich sozial exklusiv. Aber das ist nichts, was sich Baugruppen aktiv aussuchen, sondern was sich leider auf Grund der bestehenden Rechtslage der Stadt Wien ergibt. Hier wäre dringender Handlungsbedarf gegeben. Eine zweite Herausforderung ist die Finanzierung von Projekten wie unserem. Vor dem Hintergrund der jahrelangen Niedrigzinspolitik könnte die Stadt Wien – die gerade so billig an Kredite herankommt wie nie zuvor – Baugruppenprojekte massiv unterstützen und bei der Vorfinanzierung durch den Ausbau von Förderkrediten in eine Vorleistung gehen. Das würde gemeinwohlorientierte Hausprojekte ein Stück unabhängiger von Banken machen. Damit wäre ein weiteres Segment für leistbares Wohnen realisiert und Baugruppen wären auch sozial nicht mehr so selektiv.

Volksstimme: Ein Kritikpunkt ist, dass Baugruppen sehr voraussetzungsvoll sind, was etwa Zeit- oder Bildungsressourcen betrifft, die man mitbringen muss. Inwieweit ist diese Kritik zu treffend?

Elke Rauth: Ja und nein. Zu dem Argument, »Da braucht man ja so viel Zeit!«, muss man sagen, jedeR einzelne HäuslbauerIn am Land oder im Schrebergarten braucht vermutlich individuell viel mehr Zeit. In einer Gruppe von 27 Personen, wie unserer, teilt sich die Arbeit tatsächlich auf Viele auf. Das Argument stimmt für mich daher nicht. Das Argument mit dem Wissenshintergrund stimmt zum Teil, wobei das benötigte Wissen vielfältig und nicht unbedingt akademisches Wissen ist, sondern ebenso handwerklich und vielfach technisch. Wir haben uns in der Gruppe sehr viel erarbeiten müssen – zum Teil natürlich mit Unterstützung von Leuten, die so einen Prozess schon einmal durchgemacht haben. Das Mietshäuser Syndikat ist auch ein Solidarnetzwerk, was solche Fragen betrifft. Am ehesten sehe ich jedoch soziale Hürden, die eine Herausforderung sind.

Volksstimme: Wien wächst jährlich um 20.000 bis 30.000 BewohnerInnen. Welche Rolle können Baugruppen in Bezug auf den Bedarf an Wohnraum spielen?

Elke Rauth: Die Skalierbarkeit ist eine interessante Frage. In Freiburg sind tatsächlich gerade zahlreiche Syndikats-Häuser in Zusammenarbeit mit der Stadt gebaut worden, um am Markt vorbei gemeinsam leistbaren Wohnraum für die BürgerInnen zu realisieren. Denn im Bereich Wohnbau regelt der Markt bekanntlich genau gar nichts, außer steigende Mieten und Profite für Wenige. Auch für Österreich ist die Miethäuser Syndikats Kombination aus Selbstverwaltung der Häuser und finanzieller Unabhängigkeit durch kommunale (Vor-)Finanzierung sicher ein interessantes Zukunfts-Modell. Das schließt fast wieder an das »Rote Wien« an – nur mit einem höheren Anteil an Selbstverwaltung, als es ihn im Roten Wien wohl je gegeben hat.

Wobei es natürlich illusorisch wäre zu sagen, Baugruppen oder Syndikats-Projekte können den Wohnbedarf von einer Millionenstadt wie Wien decken. Man kann Baugruppenprojekte jedoch als Experimente sehen und überlegen, was davon funktioniert gut und was davon wäre wirklich skalierbar im sozialen Wohnbau.

Manuel Hanke: Genau das passiert auch schon, wenn man einzelne Genossenschaftsprojekte betrachtet und sieht, wie Selbstorganisierungsprozesse dort in den sozialen Wohnbau einziehen. In der Tradition des Roten Wien sind Baugruppen eine große Chance, denn die Vielfalt an unterschiedlichen Ansätzen, aus denen man lernen kann, ist unvergleichbar in Europa.

Volksstimme: Ende Oktober findet das urbanize! Festival unter dem Motto »Grätzelhood. Globale Stadt lokal gestalten.« in der Nordbahnhalle statt. Im Rahmen des Festivals wird am 26. Oktober das zweite Baugemeinschafts-Forum stattfinden. Was wird da passieren?

Manuel Hanke: Es werden sich Baugruppen und Wohnprojekte vorstellen und im Anschluss daran gibt es Workshops, um auch in einen direkten Austausch zu kommen und voneinander zu lernen. Das Ganze soll ein Forum sein, das sich an eine interessierte Öffentlichkeit richtet, genauso wie an Menschen, die schon in solchen Projekten leben.

Manuel Hanke ist »angewandter« Stadtsoziologe organisiert Mitbestimmungs-, Selbstorganisations- und Gemeinschaftsbildungsprozesse in Wohnbauprojekten.
Elke Rauth ist Redakteurin bei dérive – Zeitschrift für Stadtforschung, Leiterin des urbanize! Festivals. Sie interessiert sich für Stadt als gesellschaftspolitischer Ort und für die Organisation des postkapitalistischen Übergangs in Theorie und Praxis.

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